Hat die Mafia Kennedy ermordet?
Der amerikanischen Historiker Lamar Waldron, der seit über 20 Jahren im Fall Kennedy-Attentat recherchiert, hat ein sensationelles und hervorragend recherchiertes Buch geschrieben: "Ultimate Sacrifice". Er sprach im Laufe der Jahre mit Insidern, die zum erstenmal ihr Schweigen brachen; und er entdeckte bisher unbekannte Geheimakten von FBI und CIA. Sein wichtigster Fund: Ein über 20 Jahre lang geheimgehaltenes FBI-Dossier über das einstige Oberhaupt der Südstaaten-Mafia, Carlos Marcello. Der in den 60er-Jahren mächtige Marcello saß im Jahr 1985 im texanischen Bundesgefängnis Texarkana ein. Was Marcello nicht wusste: Einer seiner Mithäftlinge war ein FBI-Informant. Laut dessen Abhörprotokoll vom 7. März 1986 erzählte ihm Marcello im Dezember 1985 im Gefängnis, er habe den Auftrag zum Mord an Kennedy gegeben: "Ja, ich habe den Hurensohn töten lassen. Und ich bin froh darüber".
In den 80er Jahren tauchten Indizien auf, dass der korrupte US-Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa, der mit der Mafia paktierte, hohe Geldbeträge für das Attentat zugeschossen hatte. Im Jahr 1992 sprachen Insider auch von einer Beteiligung des Chicago-Paten Sam Giancana an der Ermordung Kennedys. Giancana war, Waldron folgend, der maßgebliche Drahtzieher des Attentats. Da Giancana bereits damals vom FBI überwacht wurde, hatte er seinen Handlanger Johnny Roselli vorgeschickt, um mit den anderen Verschwörern den Anschlag zu planen.
Auch der Verdacht, die Mafia habe mit der Ermordung Oswalds ihre Verschwörung verschleiern wollen, konnte seit Ende der 70er Jahre erhärtet werden. Oswalds Mörder, Jack Ruby, hatte zahlreiche hochrangige Kontakte zum Umfeld der Mafia und führte in den Monaten vor dem Attentat viele Telefonate mit Verbündeten von Marcello und dessen engsten Vertrauten, Santo Trafficante jr. Und Oswalds Onkel war jahrelang Buchmacher für Carlos Marcello in New Orleans.
Das Attentat auf Kennedy trägt durchweg die Züge einer sizilianischen Vendetta, bei der die gejagten Mafia-Bosse im Stil eines privaten Rachefeldzugs zurückschlugen. Denn Sam Giancana sprach offen von "Verrat" und "dem doppelten Spiel" der Kennedys, wie sein jüngerer Bruder Chuck Giancana 1992 in einem Buch enthüllte:
Der Vater der Kennedy-Brüder, Joseph Patrick Kennedy (1888-1969), wurde Ende der 20er Jahre durch Aktienspekulationen und Alkoholimporte zum Millionär, wobei er einen Teil seines Wohlstandes während der amerikanischen Prohibitionszeit bis 1933 aus illegalen Alkoholgeschäften mit der Mafia machte. Als sein Sohn 30 Jahre später für die Demokraten um das Präsidentenamt kämpfte, bat er den Chicago-Paten Sam Giancana über Mittelsmänner wie den gemeinsamen Freund und Hollywoodstar Frank Sinatra, Wählerstimmen zu fälschen oder zu kaufen. Es ging dabei vor allem um die Wahl im Bundesstaat Illinois, die für JFK kritisch war (tatsächlich gewann Kennedy die Wahl am 8. November 1960 mit nur 118.574 Stimmen Vorsprung). Der Mafiaboss bat im Gegenzug um Schonung seiner illegalen Geschäfte (da Robert Kennedy schon während des Wahlkampfes hartes Vorgehen gegen das organisierte Verbrechen versprach).
Es kam bekanntlich anders: Robert Kennedy ging ohne Gnaden radikal gegen die organisierte Kriminalität vor. Auch mit Großrazzien gegen die Geschäfte der Mafia in Las Vegas, wo Sam Giancana maßgeblich an dortigen Casinos und den Vergnügungsvierteln beteilig war.
Besonders hart gingen Robert Kennedys Strafverfolger gegen Carlos Marcello vor, der, aus Amerikas ältester Mafiafamilie stammend, Ende der 1940er Jahre zum Paten von New Orleans aufstieg und als Big Player der Südstaaten-Mafia fast alle Spielcasinos und Callgirl-Ringe in Louisiana kontrollierte. Seine Organisation gehörte zum Netzwerk der "French Connection", bei dem Verbrecherbanden Heroin aus der Türkei über Sizilien, Frankreich, Mexiko bis in die USA und nach Kanada schmuggelten.
Kürzlich freigegebene CIA-Akten beweisen, dass Marcello und seine Verbündeten damals genügend Erpressungsmaterial gegen die US-Regierung in der Hand hatten, um sich trotz des Attentats auf den Präsidenten John F. Kennedy für unangreifbar zu halten. Es sind CIA-Akten, die jahrzehntelang im Safe des CIA-Direktors gehütet wurden:
Im September 1960, so die Dokumente, bot der US-Geheimdienst den Mafia-Bossen Giancana und Trafficante 150.000 Dollar an, um den Kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro zu ermorden. Auch nach Kennedys Amtsantritt im Januar 1961 liefen die Mordpläne der CIA und der Mafia gegen Castro zunächst weiter. Erst nach der Kubakrise vom Oktober 1962 ordnete der Präsident offiziell das Ende aller Attentatspläne gegen Castro an - um sie aber, etwas später, im geheimen fortzusetzen.
Lamar Waldron präsentierte in einer Anhörung des US-Kongresses im März 2006 erstmals die Details: Für den Fall, dass die laufenden Verhandlungsgespräche mit Kuba scheitern sollten, ließ John F. Kennedy seinen Bruder Robert mit US-Generälen und der CIA eine Operation mit dem Decknamen "AMWORLD" vorantreiben, "die den Umsturz der Castro-Regierung herbeiführen sollte". Abtrünnige kubanische Paramilitärs sollten gegen Castro putschen. Noch in den Morgenstunden des Tages, an dem Kennedy ermordet wurde, gab CIA-Direktor John McCone per Telegramm vom 22. November 1963 unter Punkt zwei nüchtern den geplanten Beginn des Staatsstreiches gegen Castro bekannt: "Generalaufstand terminiert für den 1. Dezember".
Erst der Tod Kennedys setzte den Putschplänen ein Ende. Weil die mit Marcello verbündeten Mafiosi von den kriegerischen Top-Secret-Plänen der Kennedys wussten, rechneten die Paten darauf, mit dem Mord am Präsidenten ungeschoren davonzukommen. Andernfalls hätten sie die Regierung in einen politischen Skandal und einer erneuten internationalen Krise mit dem Ostblock treiben können. Entsprechend teilte der damalige stellvertretende Justizminister Nicholas Katzenbach am 25. November 1963 dem neuen Präsidenten Lyndon B. Johnson mit, der Anschlag müsse unbedingt wie die Einzeltat eines Fanatikers erscheinen. Man wollte keine erneute Konfrontation mit der Sowjetunion riskieren.
Johnson reagierte promt: Am 29. November 1963 rief er eine Kommission unter dem Vorsitz von Earl Warren ein, der damals Oberster Richter am Supreme-Court war...
Quellen:
Waldron, Lamar: Ultimate Sacrifice
Giancana, Chuck: Double Cross
Saludos!