Chessaja hat da einen interessanten Punkt angesprochen, der mir in Diskussionen immer wieder aufgefallen ist. Mit welcher Motivation argumentiert man gegen die Glaubensvorstellungen eines Menschen? Ich habe mir das Thema hier durchgelesen und ich verstehe ehrlich gesagt vieles nicht, rein auf logischer Ebene. Kurioserweise erscheinen mir gerade die Argumente gegen Religion religiös motiviert, besonders emotional und gelegentlich radikal zu sein, während die Beiträge für den Glauben eher einen menschlich-sympathischen, weil toleranten Eindruck hinterlassen. Und das meine ich ohne jeglichen inhaltlichen Bezug. Kurios ist es deshalb, weil schon das Selbstverständnis eigentlich anderes ankündigt.
Ein grundlegendes Problem ist in meinen Augen die Willkürlichkeit der argumentativen Logik. Das wird etwa bei der Betrachtung der Ursachen menschlicher Handlung deutlich, die im positiven gern dem einzelnen Menschen zugeschrieben, im negativen hingegen losgelöst vom Menschen und damit verallgemeinert kompletten Gruppen zugeordnet werden. Legt man hingegen bei Pro und Contra die gleichen Maßstäbe an, so wird schnell auffallen, dass sich bei der undifferenzierten Betrachtung auf Organisationsebene schnelle eine Pattsituation ergeben könnte, die letztlich zu dem Schluss führen muss, dass die Menschheit als ganzes ein Problem darstellt. Ich bin mir ziemlich sicher, auch diese zynische Betrachtung hat ihre Unterstützer. Vergleicht man hingegen auf persönlicher Ebene, ergeben sich eine Vielzahl neuer Möglichkeiten, die alle in die gleiche Richtung gehen.
ich halte nur eben den Glauben an sich und was daraus erwächst für gefährlich.
Der Glauben ist so gefährlich wie der Mensch. Es gibt Menschen, die aus dem Glauben heraus die schlimmsten Dinge machen und jedes Schuldgefühl mit angeblicher Ohnmacht bekämpfen. Es gibt aber auch Menschen, die das gleiche ohne irgendeine Form von Glauben machen. Sobald es eine feste Organisation gibt, ist diese in der Lage, Menschen zu instrumentalisieren, wenn sie es schafft, sie zu emotionalisieren. Das gilt für Religionsgemeinschaften oder politische Systeme genauso wie für Vereine, Familien oder Internetforen.
Auf der anderen Seite ist genau diese Emotionalisierung und die daraus entstehende Instrumentalisierung auch in der Lage, Gutes zu bewirken. Nichts anderes sind letztlich Hilfsorganisationen, die zu einem nicht unerheblichen Teil auf den Glauben der Menschen aufbauen, aber eben auch vollkommen ohne Glauben funktionieren.
Eben weil der Glaube und die Religion vom Menschen stammt unterliegt sie den Stärken und Schwächen, den positiven und negativen Aspekten, die den Menschen selbst prägen. Wenn man sie für gefährlich hält, muss man den Menschen für gefährlich halten, und damit auch alles andere, was er geschaffen hat. Betrachtet man letzteres hingegen differenzierter, muss man auch den Menschen selbst und damit eben den Glauben und die Religion differenzierter betrachten. In beiden Fällen gibt es keine Sonderrolle der Religion oder des Glaubens an sich, sondern nur eine allgemein logische Betrachtungsweise, die man unvoreingenommen eben auf alle Bereiche anwenden muss, will man sich nicht selbst als Teil der Argumentation sehen.
Genauso wenig wie sich ein Mensch für seine Taten unter den Deckmantel einer Organisation stellen kann funktioniert eine Organisation ohne das Handeln und den Willen der einzelnen Menschen.
Dementsprechend steht in der Verantwortung, wer etwas macht oder unterstützt, nicht was andere gemacht oder unterstützt haben. Das gilt für die Religion genauso wie für alle anderen Organisationen bzw. organisierten Strukturen. Schon allein deshalb ist aber auch der Thementitel recht einfach zu beantworten, ganz unabhängig davon, wie man "besser" definiert: "Nein, wieso auch?"
Zurück zur willkürlichen Logik. Es kam auch ein anderer Aspekt hier zur Sprache, der aus meiner Sicht unverständlich bleibt. Religion und Wissenschaft seien unvereinbar, weil die Notwendigkeit des Glaubens in der Religion im krassen Gegensatz zur Notwendigkeit des Hinterfragens in der Forschung steht. Das ist ein üblicher Ausspruch, der hier so konkret zwar nicht gefallen, dessen Nachfolgeargumentation aber auch hier im Thema aufgetreten ist. Aus der Betrachtung ergibt sich nur ein logisches Problem.
Wenn die Grundlage der Religion die Notwendigkeit des Glaubens ist, welchen Wert hat die Betrachtung der religiösen Grundlagen aus der wissenschaftlichen Sicht des Hinterfragens heraus. Ergibt es sich nicht von selbst, dass es keinen Konsens geben kann? Andersherum wird es leichter verständlich: Warum sollte man wissenschaftliche Forschungen mit dem Maß des Glaubens messen? Jede Diskussion auf diesem Niveau muss zwangsläufig polemischen Charakter haben.
Die Alternative dazu ist, beide Positionen eben nicht als grundsätzlich unvereinbar anzusehen. In dem Fall sollte es allerdings zum Wissenschaftlichen Ehrgeiz gehören, nicht nur zu widerlegen, sondern eben auch den Alternativen nachzugehen. Also nach einer Vereinbarkeit der Theorien zu suchen. Das ist nichts neues, umso unverständlicher sind solche Aussagen:
Das vernachlässige ich deswegen, weil es eine nichtssagende Hilfsentschuldigung ist, die immer von Gläubigen benutzt wird, wenn ihr Weltbild sich selbst widerlegt. Genau die gleiche Art von Entschuldigung wie "Gottes Wege sind unergründlich."
Und die gleiche Art von "Entschuldigung" wie die "Erfindung" neuer Dimensionen, etwa um der Stringtheorie ein Fundament zu geben? Spätestens seit der Quantenphysik sollte jedem wissenschaftlich Interessierten klar sein, dass die Grenzen des menschlichen Geistes eine große Hürde zur weiteren Erfassung unserer Realität darstellen. Oder eben anders ausgedrückt, wer die Möglichkeit einer Nichterfassbarkeit der Fähigkeiten eines "Gottes" durch den Menschen als Ausrede betrachtet sollte sich nicht auf die Wissenschaft berufen. Und das Unabhängig davon, welche Theorien man für die quantenmechanischen Effekte favorisiert. Eine wirklich wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der religiösen Argumentation erfolgt nur äußerst selten, was nicht zuletzt daran liegen könnte, dass durchaus viele Wissenschaftler der Religion als solche gar nicht verschlossen gegenüberstehen oder sich selbst als religiös bezeichnen würden. Das ist insofern logisch, als dass es bei Religion für viele Menschen nicht mehr um ein Erklärungsmodell für die Welt, sondern für unser soziales Zusammenleben geht. Und das ist eben auf der obersten Ebene weniger stark von der wissenschaftlichen Denkweise, sondern Subjektivität und Emotionalität geprägt. Der Glauben an Gott steht auf einer Stufe mit dem Glauben an andere Dinge und sorgt für die Motivation, genau diese wissenschaftliche Arbeit zu leisten.
Also sei mal froh, dass es Leute gibt, die sich mit solchen Ausreden nicht zufrieden geben und tatsächlich die Welt erforschen und erklären möchten.
Begeisterung und Neugierde sind der Motor zur Entdeckung der Welt, das galt damals wie heute. Insofern sollten wir nicht nur froh über die Leute sein, die die Welt erforschen und erklären möchten, sondern auch über jene, die bereit sind an ihre Träume und an sich selbst zu Glauben, die ihr Ziel auch entgegen jeglicher Vernunft und jeglichem aktuellen Wissen zu verfolgen.
Einer meiner Lieblingsautoren, Antoine de Saint-Exupéry, hat dazu folgendes Festgehalten:
"Wir wissen zu unserer Lebensgestaltung nur, daß es Mächte gibt, die den Menschen überraschend fruchtbar werden lassen. Wo aber soll man das einzig Richtige, die Wahrheit für jeden Menschen finden?
Wahrheiten kann man nicht durch Beweisketten erschließen, man muß sie erproben. Wenn Apfelsinenbäume in diesem Boden und nicht in jenem gut anwurzeln und reichlich Früchte tragen, dann ist dieser Boden ihre Wahrheit. Wenn ein Glaube, eine Kultur, ein Wertmaßstab, ein Arbeitsplan im Menschen jene Erfüllung, von der wir hier sprechen, auszulösen vermögen, dann ist eben dieser Wertmaßstab, diese Kultur, dieser Arbeitsplan, dieser Glaube die Wahrheit des Menschen. Die Logik? Sie sehe zu, wie sie mit dem Leben fertig wird und von ihm Rechenschaft abzulegen vermag!"
Jeder wissenschaftliche Durchbruch war aus dem Gedanken heraus ein Akt des Glaubens, nicht zwingend an ein höheres Wesen, in jedem Fall aber an sich selbst und die eigene Sache. Wir sind eben nur Maschinen.
Und damit schließt sich für mich auch der Kreis wieder zu Chessajas Einwand.