In Lakritze steckt der SARS-Stopper
Das Coronavirus ist vorerst besiegt, aber nicht ausgerottet - Arzneiforschung geht weiter
von Katja Flieger
Frankfurt/Main - Die Hoffnung ist groß, dass SARS besiegt ist. Zumindest vorläufig. Denn als ausgerottet kann der Erreger der Krankheit, das Coronavirus, nicht gelten. Niemand kann garantieren, dass es nicht irgendwann wieder einen Ausbruch geben wird. Aus diesem Grund bleibt die Medikamentenforschung auf der Agenda von Wissenschaftlern. Professor Prakash Chandra von der Universität Frankfurt am Main ist einer von ihnen. "Wir haben die beste Substanz gegen SARS gefunden, die es im Moment gibt", freut er sich. Den Stoff, von dem der Molekularbiologe schwärmt, kennt jedes Kind: Glycyrrhizin steckt als Geschmacksverstärker in Lakritz.
Die Substanz wird schon seit einigen Jahren gegen HIV und Hepatitis-C-Viren eingesetzt und besitzt zwei für ein Medikament hervorragende Eigenschaften: Sie ist wirksam, aber nicht giftig.
Von den bisher gegen SARS eingesetzten Medikamenten lässt sich das nicht behaupten. "Wenn etwas Unbekanntes wie SARS ausbricht, fangen Ärzte mit dem Medikament an, das am wahrscheinlichsten hilft", sagt Chandra. Aus diesem Grund behandeln die Ärzte SARS zurzeit weltweit mit dem Virenstopper Ribavarin und mit Kortisonpräparaten. Sie wirken bekanntermaßen gegen virusbedingte Lungenentzündungen, aber ob sie SARS eindämmen, ist fraglich.
Der Effekt von Ribavarin, das auch gegen HIV und Hepatitis-Viren eingesetzt wird, ist nicht bewiesen, und als Nebenwirkung sind Blutveränderungen bekannt. Kortisonpräparate kappen zwar die Symptome von SARS, richten aber nichts gegen den zu Grunde liegenden Virus aus. Auch Beta-Interferon, das bei virusbedingten Lungenentzündungen erfolgreich eingesetzt wird, schaffte bis jetzt keinen Durchbruch in der SARS-Bekämpfung. Antibiotika wie Levofloxacin schließlich verhindern vermutlich nur Lungenentzündungen, die zunächst wie SARS aussehen, aber tatsächlich anderer Natur sind und von Bakterien verursacht werden.
Von der Frankfurter Forschergruppe um Professor Jindrich Cinatl, zu der Chandra gehört, stammt die weltweit erste experimentelle Studie über die Wirkung von Substanzen gegen das Coronavirus. Im Laborversuch verglichen die Wissenschaftler die Wirkung von fünf bekannten Anti-Viren-Mitteln: Das bisher verwendete Ribavirin beeinträchtigte das SARS-Virus überhaupt nicht. Dass aus den fünf Testmedikamenten Glycyrrhizin die Viren am wirksamsten bekämpft, sei hingegen bewiesen, schreiben die Forscher im Fachmagazin "The Lancet".
Eines kann der Laborversuch bei aller Euphorie jedoch nicht: zeigen, wie Glycyrrhizin in realen SARS-Patienten wirkt. "Man muss Tierversuche und klinische Untersuchungen durchführen, bevor man Aussagen für den Menschen machen kann", sagt der Virenexperte John Ziebuhr von der Universität Würzburg.
Ziebuhr arbeitet mit Rolf Hilgenfeld von der Universität Lübeck zusammen. Dessen Team hat ein Enzym, eine so genannte Protease, nachgebaut, das als "Achillesferse" des Coronavirus gilt. Wird die Protease gehemmt, liegt der Vermehrungsmechanismus des Virus lahm. Die Lübecker haben bereits einen Hemmstoff für das Enzym entwickelt - er ist jedoch giftig und damit als Medikament unbrauchbar.
Allerdings ähnelt ein harmloses, derzeit in den USA getestetes Schnupfenmittel namens AG7088 dem gesuchten Protease-Blocker. Der Hersteller des Mittels, die Pharmafirma Pfizer, spricht dem Spray nur "mäßige Wirkung" auf den SARS-Erreger zu. Jetzt hofft man in Lübeck, dieses Medikament so umbauen zu können, dass es auch gegen SARS wirkt - ohne Nebenwirkungen.
Mit einem anderen Ansatz meldet sich die Virologengruppe um den New Yorker Aids-Forscher David Ho zu Wort. 1996 wurde Ho wegen seines Protease-Cocktails, der Aids in der Frühphase aufhält, vom "Time Magazine" zum Mann des Jahres gekürt. Jetzt will er das SARS-Virus über kleine Eiweißmoleküle (Peptide) stoppen. Sein Team habe Peptide hergestellt, die verhindern, dass das SARS-Virus überhaupt in menschliche Zellen gelangt.
"Das sind alles Erfolg versprechende Ansätze, aber um von einer Therapie zu sprechen, ist es zu früh", so John Ziebuhr. "Der klinische Versuch geht mit SARS-Patienten sofort los, sobald ein Mittel Erfolg verspricht", setzt Prakash Chandra entgegen. Und da hat Glycyrrhizin aus der Lakritze momentan die Nase vorn.
http://www.welt.de/data/2003/06/23/122967.html?s=2