Shoppen für die A Bombe!
Illegale Einkäufe in Deutschland nähren den Verdacht, dass Nordkorea ein ehrgeiziges Uran-Anreicherungsprogramm betreibt. Die Hardliner im Weißen Haus werten den Vorgang als weiteren Beleg für die Atompläne des Diktators Kim Jong Il.
Für exotische Geschäfte hatte der Kaufmann Hans Werner T. stets ein Händchen. Auf die Idee, der US-Armee Statisten zu vermieten, "die bei Manövern in der Oberpfalz realitätsnah Zivilisten spielen", muss man erst einmal kommen. T.s Firma, die Königsbronner Optronic, übernahm sogar das Casting der Laienschauspieler, die für ihren Auftritt als bettelnde, lärmende oder demonstrierende Komparsen 92 Euro pro Tag kassierten.
Eher ungewöhnlich war auch ein zweiter Kunde der Optronic - die Nam Chon Gang Corporation. Die nordkoreanischen Händler begannen vor drei Jahren, für den siechen Stalinisten-Staat Winkelschleifer und Vakuumpumpen zu bestellen. Mit dem offiziellen Geschäftszweck der Optronic, der Medizin- und Sicherheitstechnik, hatte auch das nicht viel zu tun.
Aber immerhin - diese Geschäfte waren legal.
Der vorerst letzten Order der Nam Chon Gang mit Sitz in Pjöngjang hat Hans Werner T. seit drei Monaten einen Platz in der Haftanstalt Stuttgart-Stammheim zu verdanken: Er soll 214 nahtlos hergestellte Aluminiumrohre, 2,40 Meter lang, 22 Zentimeter Durchmesser und mit einer Speziallegierung versehen, geliefert haben. Den Containerfrachter "Ville de Virgo", auf dem die Ladung ohne Ausfuhrerlaubnis bereits in Richtung Fernost unterwegs war, ließ die Bundesregierung am Suezkanal stoppen (SPIEGEL 18/2003).
Juristisch scheint das Kriminalstück übersichtlich: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wirft T. gewerbsmäßigen Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz vor, selbst gegen das Angebot einer Kaution von zwei Millionen Euro kam er nicht frei. Der Geschäftsmann behauptet, nicht er, sondern eine Hamburger Firma sei für den Export verantwortlich. Noch in diesem Herbst soll der Prozess beginnen.
Außenpolitisch sind die Konsequenzen noch gar nicht absehbar. Denn nachdem Ende Juni die Urenco, Betreiber der einzigen deutschen Uran-Anreicherungsanlage im westfälischen Gronau, ein Gutachten vorlegte, besteht der Verdacht, dass die Nordkoreaner für ihr im Herbst des vergangenen Jahres aufgedecktes Atomprogramm auch in Deutschland einkaufen wollten. Nach Überzeugung der Urenco waren die Rohre für den Bau von Gas-Ultrazentrifugen bestimmt, mit deren Hilfe sich Uran zu Bombenstoff anreichern lässt. "Das ist ein rauchender Colt", sagt Mark Hibbs, Nordkorea-Experte der Fachzeitschrift "Nucleonics Week".
In der Bundesregierung gilt der Fall - auch wegen des eskalierenden Streits zwischen den USA und Nordkorea - als heikel. In Berlin schwadronierte der amerikanische Pentagon-Berater Richard Perle vor drei Wochen bereits darüber, zur Friedenserhaltung müssten womöglich die nordkoreanischen Atomanlagen bombardiert werden. Die deutsche Spur, über die sich die US-Regierung in allen Einzelheiten unterrichten lässt, werten die Hardliner im Weißen Haus nun als weiteren Beleg für die Atompläne des Diktators Kim Jong Il.
Die erste Ladung von 22,127 Tonnen Aluminiumrohren sollte offenbar nur der Anfang sein. Aus inzwischen sichergestellten Briefen wissen die Fahnder, dass Nam Chon Gang sich für insgesamt 200 Tonnen des Leichtmetalls interessierte. Diese Menge, urteilt Hibbs, hätte ausgereicht für "3500 Zentrifugen, die Jahr für Jahr rund 90 Kilogramm hochangereichertes Uran produzieren könnten" - genug für mindestens ein halbes Dutzend Bomben.
Ob der Diktator bereits ein funktionierendes Uran-Anreicherungsprogramm betreibt, ist unter Experten umstritten. Die CIA glaubt, Belege dafür zu haben, dass die Pakistaner Kims Wissenschaftlern mit dem nötigen Know-how geholfen haben. Sogar Prototypen von Zentrifugen habe Pjöngjang so erhalten.
Pakistan hat solche Beschuldigungen stets bestritten. Doch in dem Urenco-Gutachten findet sich ein Indiz, das dieses Dementi zweifelhaft erscheinen lässt. Die Experten stellten fest, dass die Maße der in Deutschland bestellten Rohre auffällig den Abmessungen des Materials entsprechen, welches die Urenco in den siebziger Jahren beim Zentrifugenbau verwendete. Nordkorea, so die Schlussfolgerung, produziere also womöglich eine Zentrifuge nach europäischem Muster. Die Blaupausen dafür hatte 1975 ein pakistanischer Wissenschaftler bei der Urenco gestohlen.
Die Nordkoreaner dementieren weiterhin hartnäckig, dass die Fracht überhaupt für sie bestimmt war. Nam Chon Gang, so die offizielle Lesart, habe das Material an den chinesischen Flugzeugbauer Shenyang Aircraft Corporation weiterverkaufen wollen; die Chinesen planten, transportable Gastanks daraus zu fertigen.
Mit dieser Begründung war beim Bundesamt für Ausfuhrkontrolle schon eine Genehmigung für die erste Lieferung beantragt worden. Den Beamten erschien die Geschichte so skurril, dass sie auf ein Gutachten verzichteten und den Export im Februar nicht genehmigten. Die Gastank-Variante sei "technisch nicht plausibel", hieß es in dem Schreiben an die Optronic. Ziemlich hellsichtig urteilten die Beamten, wahrscheinlicher erscheine der Einsatz im Rahmen des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms.
GEORG MASCOLO
quelle: spiegel.de